„Banalität des Bösen“ – szenische Lesung der Eichmann-Protokolle

 

Die Generation der Beteiligten stirbt, sowohl die Überlebenden als auch die Täter des Holocaust. Wer erzählt nun den jungen Menschen von den Gräueltaten des Nazi-Regimes? Unser Geschichtslehrer Tobias Kehm hat eine beklemmend eindringliche Theaterinszenierung zum Schloss Hagerhof geholt und die Jahrgangsstufen 1010–12 dazu eingeladen. Hier sein Bericht über die szenische Lesung zu den Eichmann-Protokollen.

Adolf Eichmann, eines der bekanntesten nationalsozialistischen Verbrecher, ein Mann, der für die „Banalität des Bösen“ steht. SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann gilt als einer der Hauptorganisatoren des Holocaust. Von 1941 bis 1945 war der „Schreibtischtäter“ als Leiter des „Judenreferats IV B 4“ im „Reichssicherheitshauptamt“ für zahlreiche Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager verantwortlich. Diese führte er auf beinahe besessene Weise und in einer emotionslosen, akribischen Art zu einer grausigen „Leistungsfähigkeit“. Das Optimieren der Tötungslogistik wurde zu seiner Obsession. Nach dem Krieg floh er vor einer Verurteilung nach Argentinien und lebte dort lange Zeit unbemerkt in bescheidenen Verhältnissen. Von dort entführte ihn 1960 der israelische Geheimdienst Mossad nach Israel, wo er in einem international für Aufregung sorgenden Prozess zum Tode verurteilt und 1962 hingerichtet wurde. Die dort entstandenen Verhörprotokolle geben einen Einblick in die Psyche des Organisators der nationalsozialistischen Judenvernichtung, der bis zum Schluss eine persönliche Schuld abstritt. Seine makabre Ausrede dabei: „Ich bin kein Judenhasser und kein Antisemit. Es war keine persönliche Entscheidung, sondern meine Pflicht. Wenn nicht ich, dann wäre es ein anderer gewesen.“


Circa 100 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Schloss Hagerhof waren der Einladung zur dieser Lesung gefolgt. Der 45-minütigen szenischen Lesung durch zwei Schauspieler des Staatstheaters Hannover, der in würdiger und ruhiger Atmosphäre gelauscht wurde, schloss sich eine Nachbesprechung mit Diskussion an, bei der sowohl Fragen beantwortet als auch vertiefende Zusatzinformationen gegeben und aktuelle Bezüge erörtert wurden, so dass der schwierige Stoff sowohl verständlich als auch auf beängstigende Weise persönlich vermittelt wurde. Es herrschte während der Lesung eine bedrückende Atmosphäre, die durch die kalte Sachlichkeit der Äußerungen Eichmanns und durch das ungemein passende, völlig reduzierte Bühnenbild entstand. Im Mittelpunkt der collagenartigen Lesung standen neben Auszügen aus den Verhörprotokollen mit Eichmann historische Zeitdokumente, die den Weg der Vernichtung der Juden nachzeichneten.

Wir bedanken uns noch einmal herzlich bei den Darstellern Bernd Surholt (Schauspieler, Synchronsprecher, Regisseur) und Harald Schandry (Schauspieler und Regisseur/ Staatstheater Hannover, Leitung Klecks-Theater).

Tobias Kehm

Hier die Eindrücke eines Schülers:

Mich persönlich hat die Lesung sehr berührt. Die Hintergründe des Eichmann-Prozesses wurden klar und verständlich aufgezeigt und auch die Brutalität, welche das Thema des Holocaust mit sich bringt, wurde angesprochen. Den „Vorlesern“ gelang eine dramatisch anspruchsvolle Gratwanderung zwischen den Abgründen des Nationalsozialismus, der hohen Emotionalität der Schicksale und den klaren Fakten, die Dokumente und Zeitzeugen liefern. Als auf die Zahlen des Holocaust eingegangen wurde, herrschte zwischenzeitlich eine bedrückende Stille im Raum. Auch mich haben manche der Passagen ziemlich mitgenommen. Von der Darstellung der Akteure ging eine solche Authentizität aus, dass mich ihr Auftreten zeitweise verschreckte, wenn sie die Rolle der Nazifunktionäre einnahmen. Alles in allem war es eine informativ wertvolle Vorstellung, der es an Emotionen nicht mangelte. Die Themen rund um die Eichmann-Akten wurden auch nach der Veranstaltung noch von vielen Schülern besprochen und diskutiert, viele der Teilnehmer konnten daraus wirklich etwas mitnehmen.

Felix Geiser