Social Services: Hagerhof-Schüler/innen leisteten über 77.000 Stunden bürgerschaftliches Engagement

Wenn die Abiturientinnen und Abiturienten von Schloss Hagerhof in einigen Tagen das langersehnte Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife erhalten, haben sie nicht nur drei Praktika absolviert: ein landwirtschaftliches, ein Betriebspraktikum und ein Sozialpraktikum; jede/r von ihnen hat darüber hinaus dann mindestens 100 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet – und zwar in der persönlichen Freizeit: die „Social Services“ – bürgerschaftliches Engagement. Was hat es damit auf sich?

Den Startschuss dazu gab es bereits 2004. Damals suchte Religions- und Philosophielehrer Jochen Bachmann gemeinsam mit seiner Kollegin Susanne Bohnau für Internat und Schule nach einem möglichen Rahmen, in dem die Heranwachsenden einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen konnten. „Es war uns wichtig, dass sie sich kontinuierlich engagieren, nicht nur während eines dreiwöchigen Praktikums. Sie sollten sich als selbstwirksam erfahren – und verstehen, dass unsere Gesellschaft auch zusammengehalten wird durch solidarisches Handeln, kritische Reflexion und Offenheit.“

Die Rechnung ging auf. Seit 2007 sind die Social Services im Schulkonzept fest verankert, darin sind sich die ehemalige langjährige Schulleiterin und Montessori-Expertin Dr. Gudula Meisterjahn-Knebel und der heutige Schulleiter Dr. Sven Neufert einig: „Es gehört zum Grundbestandteil reformpädagogisch orientierter Schulen, dass jeder Schüler sich ein­übt in kontinuierlichem sozialen Engagement. Maria Montessori ging es darum, dass dem Kind und Jugendlichen die Verantwortung bewusst wird, die jeder durch sein Tun und Handeln in der Welt hat.“

„Einige unserer Schüler und Schülerinnen absolvieren einen Teil ihrer Dienste direkt am Schloss Hagerhof“, berichtet Susanne Bohnau, die seitdem die Social Services gemeinsam mit Jochen Bachmann koordiniert. „Die Jugendlichen lassen sich zum Sporthelfer oder Streitschlichter ausbilden und leisten dann gute Arbeit im Pausensport oder in Konfliktsituationen. Andere geben in ihren Freistunden lernschwächeren Schülern kostenlos Nachhilfe. Das sind zweifellos alles sinnvolle Tätigkeiten – und doch wünschen wir uns, dass die jungen Menschen das vertraute schulische Umfeld verlassen und sich auf herausfordernde Situationen und Begegnungen mit anderen Menschen einlassen, die sie sonst nicht kennenlernen würden. So übernehmen sie Verantwortung in unserer Gesellschaft und lernen sich selbst besser kennen – vielleicht entdecken sie auch bislang unbekannte Seiten ihrer Persönlichkeit.“ Aus diesem Grund legen die beiden Koordinatoren bis heute Wert auf das außerschulische, bürgerschaftliche Engagement. Jochen Bachmann ergänzt: „Das bürgerschaftliche Engagement kann dazu führen, über das eigene Leben nachzudenken, über das, was wirklich wichtig im Leben ist.“

Das Spektrum der Social Services deckt Nicht-Regierungs-Organisationen, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Umweltschutzgruppen, Sportvereine, Kinder- und Jugendfreizeiten und Jugendgruppen, Jungparteienarbeit, Mittagstafeln, Dritte-Welt-Läden, Stadtbüchereien, Kindergärten, Seniorenheime ab. Seit 2015 gibt es auch – in Zusammenarbeit mit der Stadt Bad Honnef – ein Unterstützungsangebot für geflüchtete Menschen (z. B. Schülernachhilfe).

In diesen Einrichtungen sind die Schülerinnen und Schüler herzlich willkommen, für ihre Mitarbeit ist man dankbar. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit hier ehrenamtlich geleistet wird. Jochen Bachmann hat es einmal überschlagen: „Im Zeitraum von 2007 bis 2019 sind von unseren Schülerinnen und Schülern über 77.000 Stunden geleistet worden. Mit diesem Engagement machen die jungen Menschen das Antlitz der Welt freundlicher.“

Und was sagen die jungen Menschen selbst dazu? Vor einigen Wochen haben die jetzigen Abiturienten in einem Fragebogen differenzierte Angaben zu ihren Erwartungen, Erfahrungen und Bewertungen im Zusammenhang mit den Social Services gemacht. Fast alle halten das bürgerschaftliche Engagement im Schulkonzept für „eine sehr sinnvolle Sache“, auch wenn es manchmal „richtig anstrengend“ sei, die ehrenamtliche Tätigkeit mit den Anforderungen der Oberstufe einer Ganztagsschule in Einklang zu bringen. Nahezu alle beschrieben den Nutzen, den sie dadurch anderen Menschen oder für eine gute Sache erbrachten. Einige freuten sich über die Anerkennung, die sie wegen ihrer Arbeit erhielten, oder die Vorteile, die ihre Erfahrungen für ihre berufliche Laufbahn erbringen könnten.

Die meisten reflektierten aber auch die Wirkung der Social Services auf ihre eigene persönliche Entwicklung. Sie beschrieben, wie sie es lernten, mit den Herausforderungen umzugehen, mit eigenem Frust oder Erschöpfung, mit Unsicherheiten in ungewohnten Situationen, zum Beispiel im Umgang mit Behinderten, mit den Schwierigkeiten, andere zu motivieren, Parteien zu beruhigen und ein friedliches Miteinander zu schaffen, ihre eigenen Wünsche zurückzustellen, Ruhe zu bewahren und auszustrahlen – „egal, was passiert“. „Geduld“ hätten sie gelernt und „Einfühlsamkeit“, „Durchsetzungsvermögen“, „Kreativität“, „Humor“ und „Freundlichkeit“. Eine Schülerin bringt die Bedeutung der Social Services für sich selbst mit einem Satz auf den Punkt: „Ich bin daran gewachsen.“

Martina Rohfleisch

Foto 1: Miteinander arbeiten: Schülerinnen und Schüler formen den Schriftzug der Social Services im Park von Schloss Hagerhof

Foto 2: Oberstufe mit Herz: Alle Oberstufenschüler/innen von Schloss Hagerhof leisten in ihrer Freizeit mindestens 100 Stunden ehrenamtliche Arbeit

Foto 3: Kunstpädagogin Anke Noreike schuf für die Zertifikate der Social Services ein ausdrucksstarkes Bildnis