Abitur 2018 – Schaut zu den Sternen!

Manche haben es nahezu mühelos erreicht, manche mussten heftig kämpfen: Herzlichen Glückwunsch an unsere 63 Abiturientinnen und Abiturienten, die ihr Abschlusszeugnis während einer Feier im Bad Honnefer Kursaal erhielten – nach einer eindringlichen Botschaft von Schulleiterin Dr. Gudula Meisterjahn-Knebel.

„Erinnert euch, zu den Sternen zu schauen und nicht runter zu euren Füßen. Versucht, den Sinn zu verstehen von dem, was ihr seht, und fragt euch, wie das Universum existieren kann. Seid neugierig – und egal wie schwierig das Leben aussehen mag: Es gibt immer etwas, das ihr tun und wobei ihr erfolgreich sein könnt. Wichtig ist, dass ihr einfach nicht aufgebt.“

Verehrte Festgäste, liebe Absolventen, Stephen Hawking, der das äußerte, war ein ganz besonderer Mensch. In diesem Jahr ist er verstorben mit 76 Jahren, am 15. Juni, also vor gut zwei Wochen wurde er in Westminster Abbey in der Nähe des Naturforschers Charles Darwin und des Universalgelehrten Isaac Newton beigesetzt. Er gilt als einer der bedeutendsten Physiker/Astrophysiker unserer Zeit und hat vor allem Theorien zum Ursprung des Kosmos und zu schwarzen Löchern entwickelt. Stephen Hawking litt jahrzehntelang an amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer Nervenkrankheit, bei der die Muskeln nach und nach absterben. Hawking saß wegen der Nervenkrankheit im Rollstuhl und konnte sich später nur mit Hilfe eines Sprachcomputers verständigen. Die eben verlesene Botschaft hat er mittels des Sprachcomputers als Filmbotschaft ins All geschickt und bei youtube hinterlegt.

Warum dieser Beginn? Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ich meine, dass es gerade in Ihrer Jahrgangsstufe ganz viele besondere Menschen gibt. Niemand ist oder war so schwer erkrankt, nein, Gott sei Dank nicht. Diese besonderen Menschenkinder dieser Stufe waren auf sehr unterschiedlichen Wegen, bedingt durch so manches Hindernis, und auch unterschiedlich lange in Richtung Abitur unterwegs. Und das meine ich keinesfalls ironisch, sondern im Hinblick auf wirklich starke Persönlichkeiten, die sich diesen durchschnittlichen Anforderungen, die eine Abiturprüfung ja ist, gestellt haben, mit sehr unterschiedlichen Bereitschaften und Ergebnissen. Und sie haben nicht aufgegeben (in Klammern sei ergänzt: ihre Eltern auch nicht). In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf etwas Weiteres hinweisen, dass es nämlich keinen Zusammenhang zwischen Schulerfolg und Berufserfolg gibt. Selbst wenn das Abitur in dem ein oder anderen Fall nicht so gelungen ist, wie sich das jede Einzelne, jeder Einzelne hier vorgestellt hat, so darf ich allen, die hier sitzen versichern, dass sich in jedem Fall alle diese jungen Menschen zur Person entwickelt haben, zu einem durch individuelle Eigenschaften und Eigenarten gekennzeichneten Menschen. Sie haben nicht aufgegeben, s i c h  nicht aufgegeben. Das ist der Kern der Botschaft Stephen Hawkings, weil es immer etwas gibt, das man tun kann und wobei man erfolgreich ist. Es fällt nicht jedem gleich leicht, sich einem gegebenen System anzupassen. Das kann psychische und/oder auch physische Gründe haben.

Die andere Botschaft geht jedoch über den persönlichen Bereich hinaus und erfasst den der gesellschaftlichen Verantwortung, wird doch so erst sichtbar, ob das, was Schule anstrebt, nämlich den gebildeten Bürger im weitesten Sinn zu ermöglichen, Erfolg hatte. Denn ob jemand gebildet ist, zeigt sich ausschließlich in seiner Bereitschaft Verantwortung in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft, in der er lebt, u n d  der Welt zu übernehmen: „Erinnert euch, zu den Sternen zu schauen und nicht runter zu euren Füßen. Versucht, den Sinn zu verstehen von dem, was ihr seht, und fragt euch, wie das Universum existieren kann.“

„Versucht, den Sinn zu verstehen – fragt euch, wie das Universum existieren kann“ – meint bei Hawkings ganz zentral unser Verhältnis zur Schöpfung, zur Natur, zur Schwester Mutter Erde oder auch unser gemeinsames Haus (das sind Begriffe von Papst Franziskus) nicht nur zu bedenken, sondern auch zu prüfen und dann Verantwortung zu übernehmen. Denn wir leben in einer Zeit, in der immer klarer wird, dass keiner für sich alleine lebt. Was immer wir anderen Menschen oder auch der sog. Mutter Erde antun, richtet sich irgendwann gegen uns selbst. Deshalb wächst das Bewusstsein von einem Allgemeinwohl, wenn auch immer noch Politiker unterwegs sind, die keinerlei moralische Skrupel haben. Es ist ein Gedanke, der sich bereits in der berühmten Rede des Häuptling Seattle, Häuptling der Duwamish-Indianer, findet, die er vor dem Kongress der Vereinigten Staaten und vor dem Präsidenten der USA 1855 gehalten hat und die den Titel trug: Wir sind ein Teil der Erde.

Fragt euch, wie das Universum existieren kann, fordert Stephen Hawkings. Dass das alles nicht so einfach ist, zeigen aktuelle Untersuchungen z. B. der Universität Hamburg, die deutlich werden lassen, dass Menschen zu einem Trend zur Verflachung tendieren, bei der Informationsbeschaffung ebenso wie in Beziehungen, und das schon seit zwei Generationen. Statt sich Wissen mühsam zu erarbeiten, gibt man sich mit Halbwissen aus dem Internet zufrieden. Parallel macht sich eine egomane Einstellung breit: Was draußen in der Welt passiert, ist völlig egal, solange es nicht mich betrifft. Statt Dinge zu hinterfragen, werde konsumiert. Blender mit wenig Fachwissen, aber pompöser Selbstinszenierung, lägen im Trend, u.a. auch als Staatsoberhaupt. Menschen tendieren offenbar dazu, ihr Wissen hoffnungslos zu überschätzen, sobald sie sich ein bisschen informiert haben (vgl. Annett Stein ‚Die Triumphe des Halbwissenden‘, GA 12.12.5.18).

Es liegt auf der Hand, dass das alles nicht ungefährlich ist, denn dass es ungemütlicher wird auf dieser Erde, spüren wir ja inzwischen durchaus auch regional. Die Frage stellt sich ja nun in der Tat, auf was muss ich mich eigentlich vorbereiten, wenn ich im Jahr 2018 mein Abitur abgelegt habe? Kann ich mich überhaupt richtig vorbereiten bzw. hat mich die Schule richtig vorbereitet? Bin ich jetzt wirklich an der Reihe, mich aufzumachen und den Staffelstab der Geschichte zu übernehmen? Schwierige Fragestellungen.

Frau Montessori, die vermutlich zumindest vom Namen einigen bekannt sein dürfte, führte zu einer Zeit, als die Ökologie ein noch wenig bekannter Wissenschaftszweig war, diese bereits zunächst in ihre Theorie und dann in die Schulen ein. Sie sah darin eine Möglichkeit, verschiedene Themen organisch miteinander zu verbinden. Montessori entwickelte einen universalen Lehrplan, der den Heranwachsenden den Zusammenhang zwischen den einzelnen Naturphänomenen deutlich macht. Es ist eine Idee, die sich so auch bereits in der Philosophie Spinozas (1632–1677) findet, der behauptete, dass alle Gegenstände und Phänomene Gestalten von ‚corpora simplicissima‘ seien. Mit seinem Lehrsatz Nr. 29 im Teil 1 seiner Ethik ging er davon aus, dass jeder Zustand der Natur, im Weltall auf jedem Niveau aufgrund vorhergehender Zustände erklärlich sein müsse. Dieser Naturprozess offenbare sich dabei als ein verwickeltes Beziehungsnetz verschiedener Teile des Ganzen.
(Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Teil 1, 29. Lehrsatz. Philosophische Bibliothek Meiner, Hamburg (4) 2015, S. 48)

Montessori spricht dann vor knapp 100 Jahren von einer kosmischen Aufgabe des Menschen, das Schöpfungswerk so fortzusetzen, so dass auch spätere Generationen darin eine lebenswerte und humane Existenz führen können. Vor dem Hintergrund einer beobachteten menschlichen Disproportionalität, in der die innere Entwicklung des Menschen hinter seinem äußeren Fortschritt zurückgeblieben ist, erarbeitete Montessori dann in den 30er und 40er Jahren ihr Konzept einer kosmischen Erziehung. Bildung für nachhaltige Entwicklung, für die unsere Schule aufgrund der tatsächlichen Nachhaltigkeit der durchgeführten Projekte mehrfach ausgezeichnet wurde, ist im Kern Montessoris kosmische Erziehung in aktualisierter Form und meint Verantwortung übernehmen im sozialen Lebensumfeld durch bedeutsames – im Sinne von nachhaltig – Handeln.

Wer von Ihnen an Dr. Krämers Arbeitsgemeinschaften mit Streuobstwiese, Insektenhotel, Insektensterben, aber auch Beobachtungen des Sternenhimmels mit unseren leistungsfähigen astronomischen Fernrohren teilgenommen oder zusammen mit Frau Bohnau und jetzt Herrn Lehnert jedes Frühjahr Krötenschutzzäune baut und Kröten eingesammelt hat oder im Schulgarten arbeitet, hat die praktische Umsetzung dieser Überlegungen erfahren und möglicherweise damit auch die Abhängigkeit der menschlichen Position in und von der Natur bei gleichzeitiger Verantwortungsübernahme.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Sie erhalten heute Ihr Abschlusszeugnis. Unsere Gesellschaft dokumentiert darin, dass Sie den zurzeit höchsten Schulabschluss erreicht haben, die Allgemeine Hochschulreife. Sie verlassen den Schonraum der Schule und werden zukünftig oft genug auf sich selbst gestellt sein. Das bedeutet für einige von Ihnen sicher einerseits Verunsicherung, für andere Befreiung. Niemand wird Sie jedoch von der Verantwortungsübernahme für sich selbst und auch für unser gesellschaftliches Zusammenleben freisprechen können. Sie wissen ohne Zweifel, wir befinden uns mitten in einem epochalen Wandel, einer Zeit voller Umbrüche. Ich nenne nur einmal die Stichworte Digitalisierung, Gentechnik, künstliche Intelligenz, Migration, Populismus, Zerfall des unabhängigen Journalismus und so fort. Und dabei lässt sich die Zukunft selber gar nicht fassen, da die Betrachtung von Zukunft und unsere Auseinandersetzung damit immer auch eine subjektive Komponente hat. Was ändert sich? Was bleibt? Was ist eigentlich mein Plan in Auseinandersetzung mit Zukunft? Wie gelingt es mir, aktiver Gestalter meiner, unserer Welt zu sein bzw. werden?

Früher, ja da gab es einmal eine Synchronität zwischen dem individuellen Altern und der Veränderung der Welt, die uns umgab. Die Zyklen der Technik verliefen in vergleichbaren Zeiträumen wie die Generationenfolge der Menschen. Zukunft wuchs aus der Vergangenheit. Doch diese Synchronität ist gründlich gestört, schon Montessori wies auf diese Gefahr hin. Der Beginn war offenbar mit dem Zeitalter der Industrialisierung gegeben. Doch heute hat das Ganze noch einen anderen Touch: Was wir für beständig hielten, löst sich gerade auf und das alles in einer enormen Geschwindigkeit, die Rede ist von einem globalen Hyperwachstum [vgl. Ranga Yogeshwar – (RY): Nächste Ausfahrt Zukunft. Köln (9) 2018, s. 23ff.]: 2007 wurde das erste Smartphone eingeführt. Nur gut zehn Jahre später wird es bereits von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung genutzt. Das klassische Telefon brauchte noch 75 Jahre, bis 100 Millionen Menschen es nutzten. Beim Mobiltelefon waren es dann nur noch 16 Jahre, bei Facebook lediglich 4,4 Jahre, bei WhatsApp und Instagram 2,2 Jahre und das Online-Videospiel Candy Crush Saga benötigte dann nur noch 1,3 Jahre, um die 100-Millionen-Nutzergrenze zu durchbrechen. Die Zahl der Facebook-Nutzer überschritt nach nur sechs Jahren der Einführung des sozialen Netzwerkes die Milliardengrenze. In der Tat kann man da nur noch von digitaler Revolution sprechen, alle Industrienationen auf unserem Planeten werden davon gleichzeitig erfasst, ohne dass die Zeit bleibt, Vor- und Nachteile des Neuen gegeneinander abzuwägen. Zukunft bedeutet natürlich Veränderung, aber auch in dieser Radikalität? Bitte erinnern Sie sich noch einmal an die Telefonzellen, auf denen außen stand: Fasse dich kurz! Heute steht diesem Appell die Dauerkommunikation gegenüber. Und ich denke, uns allen ist klar, ja muss klar sein, dass eine solche Entwicklung, an deren Anfang wir jetzt erst stehen, unser Miteinander, unsere menschlichen Gepflogenheiten massiv beeinflussen wird, ja schon tut. Was sagte der frühere Google- und heutige Alphabet-Chef Eric Schmidt bereits 2010: „Wir wissen, wo Sie sind, wir wissen, wo Sie waren, und wir wissen mehr oder weniger, woran Sie denken.“ (vgl. RY, S. 29) Denn das wahre Potential von Big Data, so Ranga Yogeshwar in seinem Buch ‚Nächste Ausfahrt Zukunft‘, versteckt sich in unzähligen kleinen Datenschnipseln, die miteinander kombiniert und korreliert werden können. Und er geht davon aus, dass die totale digitale Transparenz unseren Lebensstil in der Art beeinflussen wird, dass wir bald joggen werden, weil die App uns dazu auffordert und Obst essen statt Pommes, weil sonst die Krankenversicherungstarife steigen. Der Zwang zur Selbstoptimierung steigt.

Wir sollten entscheiden, ob wir diesen sog. Fortschritt mit uns machen lassen, also von ihm gewissermaßen getrieben werden, oder ob wir ihn aktiv gestalten. Uns muss aber auch bewusst sein, dass der Kompass des Fortschritts sich am Geld und am Gewinn der Investoren orientiert, die Folge ist ein Modernisierungszwang, der auch Hochschulen, Kunst, Medien unter das Diktat der Ökonomie stellt und mögliche Gestaltungsfreiheiten einschränkt. Es geht immer um die  l u k r a t i v e  Idee. Was ist die Folge heute schon? Winzige Minderheiten sind die Gewinner, die Mehrheit bleibt zurück, acht Menschen auf diesem Planeten besitzen inzwischen so viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Mit Hilfe von Softwareprogrammen und Apps werden über weltumspannende Netzwerke in kürzester Zeit riesige Kundenzahlen erreicht, neue Produkte können unmittelbar millionenfach ausgeliefert werden, Internetmilliardäre entstanden.

Für mich liegt auf der Hand, dass diese Entwicklung eine Entdemokratisierung zur Folge hat, gerade auch, aber nicht nur, wenn es zu einer solchen Verschiebung von Vermögen kommt. Wir müssen alle handeln, denn wir wissen, dass die Mitgliederzahlen der großen Volksparteien kontinuierlich zurückgehen, andererseits Milliardäre wie Staatsgäste hofiert werden. Also, liebe Absolventen: Nichts ist so notwendig wie die Entwicklung eines politischen Bewusstseins! Nichts ist so notwendig wie die Entwicklung Ihrer Tatkraft, aber auch Analysefähigkeit! Wir brauchen starke Politiker! Da ist ein großes Betätigungsfeld. Denn nicht jede Innovation muss zwingend umgesetzt werden. Ein Fortschritt, von dem nur wenige profitieren, ist kein Gewinn für die Gemeinschaft.

Wir müssen uns klar sein, dass diese furiosen Entwicklungen, die ich nur angerissen habe, uns selbst verändern, nämlich unser Denken, unsere Gefühle, unsere Vorstellungen, Bedürfnisse, Träume. Ja, wir werden zu anderen Menschen. Ich denke, das ist so und es ist auch nicht aufzuhalten. Ich denke aber auch, dass wir beenden sollten, dass die Macht des Faktischen uns immer erst im Nachhinein reagieren lässt. Momentan ist das nur zu oft so. Wir müssen beginnen, in unserem Denken den Entwicklungen voraus zu sein, damit wir die Chance einer aktiven Mitgestaltung überhaupt noch haben und auf diese Art und Weise dann tatsächlich unsere Zukunft aktiv auch mitgestalten. Dabei haben auch Medien eine wichtige Funktion. Eine Untersuchung der 141 Polittalkshows im Jahr 2016 ergab, dass Themen wie Klimawandel oder Energiewende in keiner einzigen Runde aufgegriffen wurde (vgl. RY, S. 299).

Damit sich das ändert, ist Handeln angesagt. Wir als Gesellschaft brauchen dazu auch I h r e n  Mut zur Gestaltung! Damit eben n i c h t  um das Jahr 2099, wie von Ray Kurzeil vorausgesagt, das menschliche Denken verschmilzt mit der ursprünglich vom Menschen erschaffenen Maschinenintelligenz, eine schreckliche Vorstellung.

Wie lautet die Aufforderung Stephen Hawkings?  „Erinnert euch, zu den Sternen zu schauen und nicht runter zu euren Füßen!“ Er hatte dabei ganz sicher schon die für heute typische Kopfhaltung der Smartphonebenutzer im Sinn, die sich weltweit gleicht. Es sind die Füßegucker, denen wir einfach überall und nur noch begegnen.  Der Blick in die Welt, ins All, in die Weite im übertragenen Sinn ist abhandengekommen mit allen Folgen. Ich möchte es eigentlich noch drastischer sagen: Ändert die Blickrichtung! Nehmt wahr, was mit diesem Planeten los ist! Besinnt euch eurer Verantwortung für Mitmenschen, Natur und Umwelt, Klimawandel und Energiewende müssen Ihre Themen sein – ab sofort.

Ihre Zukunft hat begonnen in einer der aufregendsten Zeiten, die es je gab. Und was ist da nun jedermanns Auftrag? Gedanken dazu hat sich auch Timothy Snyder, Jahrgang 1969, Professor für Osteuropäische Geschichte in Yale, eine der berühmtesten Universitäten der USA, gemacht. In seiner Veröffentlichung ‚Über Tyrannei‘ von Anfang 2017 (Beck, München) mit dem Untertitel: Zwanzig Lektionen für den Widerstand. Dort findet sich als Lektion 8: Setze ein Zeichen! Und seine letzte Lektion, die 20., die es in diesem Buch gibt, liest sich folgendermaßen: Sei so mutig wie möglich! Und er meint: Wenn niemand von uns bereit ist, für die Freiheit zu sterben, dann werden wir alle unter der Tyrannei umkommen. – Er führt dann weiter aus: Leiste keine vorauseilenden Gehorsam. – Übernimm Verantwortung für die Welt. – Nimm Blickkontakt auf, und unterhalte dich mit anderen. – Engagiere dich für einen guten Zweck. – Lerne von Gleichgesinnten in anderen Ländern. – Oder auch: Achte auf gefährliche Wörter. Jede dieser sog. Lektionen erläutert er eingehend. Eine wirklich bemerkenswerte Lektüre, die lange die Sachbuchliste im vergangenen Jahr anführte.

Unser Leben in den westlichen Demokratien ist von keinem Automatismus geprägt, der bedeuten würde, es geht immer so weiter, wie wir das alle nun seit mehr als 70 Jahren erleben. Ich denke, wir wissen das auch alle insgeheim. Frieden, Wohlstand, Demokratie stellen sich nicht automatisch ein. Geschichte selbst bewegt sich auch nicht zwangsläufig zu einem Endzustand in Frieden und Wohlstand, in Freiheit und Demokratie, zu mehr Globalisierung und mehr Vernunft.

Ich hoffe nichts mehr, als dass Sie in der Schule nicht nur gelernt, sondern wirklich verstanden und verinnerlicht, sich mit den Sachinhalten auseinandergesetzt haben, Bildung als wirkliche Lebensbereicherung begreifen und die Übertragung des Gelernten in den Alltag gelingt. Nutzen Sie dabei auch die neuen Lernplattformen, die ein Optimum der Individualisierung darstellen und Montessoris Sichtweise des Lehrers als helfendem Diener verdeutlichen. Auch dort ist aus dem Wissensvermittler ein Begleiter geworden. Ich möchte nur die Khan Academy nennen oder auch die von den Eliteuniversitäten Harvard und MTT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelten Onlineplattformen. Sie finden hier sog. MOOCs – Massive Open Online Courses, in denen Videos mit Lesematerialien und offenen Foren kombiniert werden und in die sich bereits im ersten Jahr (Gründung 2012) 155.000 Studenten einschrieben. Diese Angebote wachsen weiter, es handelt sich um die größte virtuelle Universität der Menschheitsgeschichte (vgl. RY, S. 256), an der sich inzwischen auch die Universität Berkeley, die TU Delft, die Sorbonne in Paris, die EH Zürich oder die RWTH Aachen beteiligen. Man sollte natürlich mindestens Englisch können, sonst wird’s schwierig. Und noch etwas wird deutlich: die Gültigkeit des Montessori-Prinzips: Hilf mir es selbst zu tun! – denn ohne Eigenaktivität funktioniert das alles gar nicht.

Unser aller Zukunft wird wie nie zuvor von der Lernfähigkeit jedes Einzelnen und unserer Gesellschaft als Ganzer geprägt. Dabei verfügen wir über neue und kaum noch zu toppende Zugänge zur Erweiterung unseres Wissenshorizontes. Mit dem Abitur ist das nun alles nicht vorbei, nein, es ist gewissermaßen nur der Führerschein für überschaubare Anforderungen. Robert Habeck antwortete vor einigen Wochen auf die Frage eines Journalisten: ‚Hören die Prüfungen irgendwann auf?‘:

Das wäre sehr schade. Denn eine Zeit ohne Prüfungen bedeutet Stillstand. Ich würde ungern mein Abitur noch einmal schreiben und Fragen zur Genstruktur der Fruchtfliege beantworten müssen. Aber geprüft und herausgefordert werden möchte ich jeden Tag aufs Neue.

Und damit bin ich wieder am Anfang, bei Stephen Hawking. Wenn Sie seinen Appell verinnerlichen, wird Lernen und damit die ständige persönliche Entwicklung, niemals aufhören, denn der Blick in die Sterne, ins All macht uns ununterbrochen klar, was wir alles nicht wissen. Leben heißt in Bewegung bleiben, physisch und psychisch. Das wünsche ich Ihnen heute ganz besonders und gratuliere von Herzen zum bestandenen Abitur.

„Erinnert euch, zu den Sternen zu schauen und nicht runter zu euren Füßen. Versucht, den Sinn zu verstehen von dem, was ihr seht, und fragt euch, wie das Universum existieren kann. Seid neugierig – und egal wie schwierig das Leben aussehen mag: Es gibt immer etwas, das ihr tun und wobei ihr erfolgreich sein könnt. Wichtig ist, dass ihr einfach nicht aufgebt.“

Dr. Gudula Meisterjahn-Knebel, OStD‘ i.E.

Wir gratulieren unseren Abiturientinnen und Abiturienten 2018:
Hannah Anders, Victor Assem, Johann Beckers, Lena Bohl, Lilli Böttger, Larissa Brenner, Julius Clausen, Antonia DeMuirier, Chiara Dreger, Emily Eberz (1,3), Julius Elfers, Carlotta Firmenich, Felix Gerdes, Caroline Gerling, Niklas Grünthal, Philipp Harder, Vivian Heberer, Johannes Hohl, Leo Hupperich, Dana Hurtenbach, Etienne Keßler Martinez, Chiara Kirschbaum, Adriana Kohnle, Lina Korthaus, Lea Kreitz, Belkisa Kropp (1,3), Felix Kulessa (1,3), Laurenz Küpker, Julian Lahusen, Alexander Lauren, Julia Loock, Pauline Lotz, Julia Makowski, Nick Marquardt, Audric Marsmann, Alina Müller, Phillip Neuling, Madeleine Noe, Lorenz Peters, Alexander Plücker, Sophie Preuß, Ylva Marie Reinhold, Ian Scott Rice, Franziska Richter, Paul Wilhelm Rosenau, Marco Sänger (1,0), Nicholas Feng Schaefer, Nainoa Schmidt, Annica Carolin Schreiber, Levin Schrey, Julian Siebert, Luisa Marie Solzbacher, Karla Louise Spies, Laura Kristin Stertz, Anna Techen, Sophie Varga, Shana Walczuch, David Weber, Lisa Westrick (1,1), Philipp Wilsberg, Marie-Sophie Winggen, Jonas Wolf, Patrick Zens.