Grandioses Tanzfestival: „Meine Heimat in mir“

Vertrautes und Fremdes, Fantastisches und Berührendes gab es beim Sommertanzfestival „Bad Honnef tanzt!“ zum Thema „Heimat“ zu sehen und zu erleben. Was haben unsere Schüler und Schülerinnen der Klasse 9c auf die Bühne gebracht?

Matheunterricht: die einschläfernde Stimme eines erklärenden Lehrers an einem schwülen Sommernachmittag – die Schüler und Schülerinnen rutschen vor Müdigkeit und Langeweile fast von ihren Stühlen, als plötzlich einige von ihnen zum Beat von Baby Baby (Tropkillaz) zu zucken und zu tanzen beginnen. Nach und nach erfasst der energiegeladene Rhythmus die ganze Klasse – zumindest vorübergehend. Dann erschlaffen die Jugendlichen wieder auf ihren Stühlen, bis der Schlussgong der Stunde erklingt und sie aus dem Klassenzimmer stürmen, noch bevor der Lehrer die Hausaufgaben nennen kann. „Tagtraum im Klassenzimmer“ heißt diese Tanzsequenz unserer Realschüler, nicht gerade ein Paradebeispiel für spannendes, selbstaktives Lernen an unserer Reformschule – und doch untertiteln die jungen Menschen das Werk mit „Die Schule ist ein Teil meiner Heimat“.

400 Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 21 Jahren tanzten an diesem Wochenende im Festzelt auf der Insel Grafenwerth, darunter auch 16 Schüler und Schülerinnen unserer Realschulklasse 9c unter der Leitung von Kunstlehrerin Anke Noreike. Wie die anderen 20 Klassen bzw. Gruppen aus Bad Honnef und Umgebung haben sie seit Anfang des Schuljahres wöchentlich mit Festivalleiterin Anna-Lu Masch und weiteren professionellen Künstlern gemeinsam Tanzszenen ausgedacht, Bewegungsabläufe trainiert und an der Aufführung gefeilt.

Erstaunliches ist dabei entstanden. Die Grundschüler aus Rheinbreitbach und Aegidienberg nehmen gemeinsam mit „internationalen Kindern“, wie es im Programmheft heißt, in einem überfüllten Boot das Publikum mit auf eine Fantasiereise durch sengendheiße Wüsten, klirrendkalte Eislandschaften, stille Unterwasserwelten und hektische Großstädte.

Die farbenfrohen 3D-Videoprojektionen bilden dabei nur den Hintergrund für den Kampf gegen elementare Kräfte, der von den kleinen Tänzern und Tänzerinnen ausdrucksstark dargestellt wird: Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Stress, Gewalt.

In „Meine Heimat sind die Welten in den Büchern“ tanzen die Kinder spielerisch und Grenzen überwindend mit großen und kleinen Büchern. Doch das Miteinander ist nicht nur harmonisch. Im „Zirkusdirektor“ zeigt sich jeder Tänzer in einem Solo von seiner besten Seite, bis ein nächster ihn von der Bühne schubst: „Hier gebe ich den Ton an.“

Konflikte stellen auch unsere Schüler und Schülerinnen dar, die zur „Verteidigung der Heimat um jeden Preis“ aufmarschieren und anschließend ihre Hände mit fluoreszierenden Farben durch nonverbale Kommunikation „Frieden schaffen“ lassen.

Suggestiv und surreal ist der Tanz der Puppen in der „Kindheitserinnerung“, in der die Mädchen der Konrad-Adenauer-Schule Bad Honnef ambivalente Gefühle hervorrufen: Einem kleinen Jungen schenken sie unerschöpfliche Liebe und mütterliche Fürsorglichkeit, während sie einen jungen Mann wie wütende Furien verfolgen: „Wenn deine Vergangenheit dich einholt.“

Wie ein roter Faden zieht sich durch all diese Tanzsequenzen die Entwicklung eines kleinen Jungen, die beim „Familienstreit am Mittagstisch“ beginnt und ihren emotionalen Höhepunkt in der letzten Szene unserer Neuntklässler findet.

„Heimat ist da, wo man mich akzeptiert, wie ich bin, und wo man mir hilft, mich selber zu finden.“ Hier äußert jeder auf seine Weise, wie er gern sein würde, und die anderen unterstützen ihn dabei. „Ich hätte gern mehr Selbstbewusstsein“, lautet ein Wunsch, und ein anderer: „Ich wünschte, ich lebte in einer anderen Familie.“

Währenddessen vollzieht Fabio an einem Schminktisch mitten auf der Bühne seine persönliche Verwandlung. Geschminkt, mit Perücke und Abendkleid tritt er als strahlend schöne Frau auf, wo er gemeinsam mit allen Akteuren den frenetischen Applaus des sichtlich bewegten Publikums erhält. Stark.

(Text: Martina Rohfleisch, Fotos: Anke Noreike und Martina Rohfleisch)