Welch Glanz in unserer Hütte – die Abiturientia verabschiedet sich von Schloss Hagerhof

…und weiter ging es am Samstag mit der Verabschiedung unserer Abiturient:innen. Bei strahlendem Sonnenschein glänzten die Schüler:innen mit der Sonne um die Wette: Mit Krawatte oder Fliege, mit Hemd oder T-Shirt – bei den Jungs war die klassische Kombination Favorit. Plus der obligatorische Turnschuh. Den hätte sich so manches Mädchen am Ende der Veranstaltung wahrscheinlich auch gewünscht. Die Absolventinnen kamen in Glanz und Glitzer, in Kurz und Lang und liefen fast alle auf High Heels, die höher kaum sein konnten.

Unsere Abiturient:innen des Jahrgangs 2021. Martin Otto hat sich dazu gesellt.

In Begleitung ihrer Eltern nahmen die Abiturient:innen in der festlich geschmückten Turnhalle am Samstagmorgen Platz. Und genau wie schon am Vortag sorgten auch an diesem Tag unsere Schüler:innen der Musik- und Musicalschule für einen fulminanten Rahmen. Und DIE Überraschung… aber dazu später.

Liina Lander machte am Flügel den Auftakt.

Liina Lander machte am Flügel einen beeindruckenden Anfang mit einer Sonate Ludwig van Beethovens. In der anschließenden Rede unseres Schulleiters Dr. Sven Neufert betonte dieser die Leistung der Absolvent:innen: „Von 61 Schüler:innen Eures Jahrgangs haben 60 das Abitur und eine Schülerin die Fachhochschulreife geholt. 19 Abiturient:innen haben mit einer Eins vor dem Komma abgeschnitten, davon zwei mit einer 1,0 und drei weitere mit einer 1,1.“ Insgesamt liegt der Durchschnitt des Jahrgangs bei 2,4. (Die vollständige Rede Dr. Sven Neuferts im Anschluss.)

Justus Freieck sang „Welcome to the Black Parade.“

Zwischen den Reden lieferten die Musicalschüler:innen immer wieder beeindruckende Impressionen. Justus Freieck sang „Welcome to the Black Parade“ von My Chemical Romance, Jaqueline Köster spielte einen Ausschnitt eines Violinkonzerts des finnischen Komponisten Jean Sibelius, begleitet von Gerhard Preuten. Gleich zweimal trat Rebecca Achenbach auf die Bühne. Mit „Never enough“ von Loren Allred alleine und mit „Wenn ich tanzen will“ (aus dem Musical „Elisabeth“) gemeinsam mit ihrem Bruder Nicholas.

Die Geschwister Rebecca und Nicholas Achenbach auf der Bühne.

Für einiges Schmunzeln im Publikum sorgte Tutor Jochen Bachmann, der sich an die Zoom-Konferenzen erinnert: „Dort wehte hier und da ein Hauch von Frühstücksfernsehen – in der digitalen Sphäre des Privaten konnte man tolle Schlafanzug- und Pyjama-Motive bewundern, unorthodoxe After-Sleep-Frisuren – und das alles ungeschminkt.“ Mit seinen Worten über die Fragilität des Lebens, über Glück und Mut, brachte er die Zuschauer:innen zum Nachdenken. (Die vollständige Rede von Jochen Bachmann im Anschluss.)

Jaqueline Köster spielt Violine.

Während Schülersprecher Felix Geiser in seiner Rede auch nicht mit Kritik hinter dem Berg hielt, erzeugte der Schüler-Vater Ludger Westrick viele Lacher. Quasi aus dem Lamäng erinnerte er sich an seine eigenen Elternsprechtage, die er nur durch Rasenmähen wieder gutmachen konnte. („Mein Vater hatte einen sehr gepflegten Rasen.“)

In seiner Rede sparte Felix Geiser nicht mit Kritik. Er rief im Anschluss an die Veranstaltung zu einer Spende für ein Bildungsprojekt der UNICEF auf.

Und dann der Programmpunkt, der als Überraschung angekündigt war. Oberstufenkoordinator Martin Otto trat auf die Bühne, spricht von Träumen, die man träumen sollte und erzählt von seinem, den er als Kind hatte. Unbedingt wollte er ein ganz bestimmtes Lied auf einem ganz bestimmten Instrument spielen können – sprach’s und holte eine Panflöte hervor. Mit „The Lonely Shepherd“ (weltbekannt durch Gheorghe Zamfir) begeisterte er das Publikum, besonders seine Schüler:innen, die ihn anschließend mit frenetischem Applaus feierten.

Martin Otto begeisterte mit der Panflöte.

Alles in allem eine sehr gelungene Veranstaltung, die die Absolvent:innen trotz der widrigen Umstände hoffentlich immer gut in Erinnerung behalten werden.

Wir gratulieren unseren Abiturient:innen:

Hamza Abbas, Rebecca Achenbach, Anna Ahlke, Marie-Sophie Beisel, Emma Bohl, Jan Hendrik Briese, Finn Brügger, Michelle Diehl, Alina Dohr, Sarah Dumrath, Hanna Eid, Felix Engel, Vincent Engelberth, Aaron Eschbach, Luca Exenberger, Sean Adrian Fraile Ordonez, Tristan Frank, Justus Freieck, Lea Funke, Felix Geiser, Mara Grünthal, Moritz Heider, Paula Herrmann, Nicki Herter, Til Niklas Hoffmann, Lyes Idschok, Hilmar Kätelhut, Tom Ernesto Kefer, Magnus Korzen, Janis Krep, Kaya Kuchta, Viktoria Küpker, Mayla Lenz, Till Mies, Sebastian Mönig, Blerona Morina, Blerta Morina, Henry Müller, Merle Müller, Darius Pervan, Carla Plassmeier, Julian Reiners, Valentin Richarts, Justus Richter, Niclas Richter, Sebastian Ronken, Amélie Saller, Timo Karl Schmitt, Lea Marie Schumacher, Anna Schwager, Tallulah Seery-Speyer (1,0), Nina Sommerfeld, Elisabeth Tenzer, Hélena Tietmeyer, Konrad Wagner (1,0), Luca Werner, Martin Westrick, Bennet Winter, Julie Wirtz, Swantje Zarges.

Dr. Sven Neufert machte Mut für die Zukunft.

Hier die vollständige Rede unseres Schulleiters Dr. Sven Neufert:

„Herzlich willkommen zur Abiturfeier 2021.

Wir sind sehr froh, dass wir heute hier so zusammen sein dürfen, das Wort Feiern wagt man ja aufgrund der Pandemie schon fast nicht mehr in den Mund zu nehmen. Grund genug zum Feiern gibt es aber allemal, denn ihr könnt stolz sein, liebe Abiturientinnen und Abiturienten. Von 61 Schülerinnen und Schülern Eures Jahrgangs haben 60 das Abitur und eine Schülerin die Fachhochschulreife geholt. 19 Abiturient:innen haben mit einer Eins vor dem Komma abgeschnitten, davon zwei mit einer 1,0 und drei weitere mit einer 1,1. Der Durchschnitt Eures Jahrgangs liegt bei einem sehr ordentlichen Wert von 2,4.

Herzlichen Glückwunsch euch zu dieser tollen Leistung!

Viele haben bei uns „am Hager“ gelernt, im Sinne der Montessori-Pädagogik eigenverantwortlich und selbstorganisiert zu lernen.

Dabei hattet ihr Hilfe.

Ob auf Distanz via Zoom und Teams, ob im Wechselunterricht mit oder ohne hybride Anteile, ob im Präsenzunterricht quarantänedezimiert oder vollzählig: Noch nie mussten unsere Kolleg:innen und Kollegen und ihr selbst Euch in so kurzer Zeit auf so viele unterschiedliche Lernsettings einstellen. Natürlich hat dabei die Intensität, aber auch der quantitative Umfang des Gelernten gelitten – ganz zu schweigen von Möglichkeiten der Persönlichkeitsbildung in einer Gemeinschaft. Es wäre verlogen, dies zu verleugnen.

Die besondere Fokussierung auf das wirklich Wichtige durch unsere erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, die erweiterten Auswahlmöglichkeiten in den Abiturklausuren und Eurer sehr gutes Umschalten in den „Jetzt geht es um die Wurst“-Modus seit April haben dazu geführt, dass wir niemanden verloren haben und die allermeisten in den Abiturprüfungen mindestens genauso gut, häufig sogar leicht besser abgeschnitten haben.

Für diesen außerordentlichen Einsatz in einem der ungewöhnlichsten Schuljahre, das die Bundesrepublik bisher erlebt hat, möchte ich Danke sagen. Danke zuallerst euren anpassungsfähigen sowie kreativen Lehrerinnen und Lehrern sowie Erzieherinnen und Erziehern, namentlich euren Tutoren Frau Petermann, Herr Bachmann und Herr Rapreger, eurem Oberstufenkoordinator Herrn Otto, der dieses Schuljahr eigentlich schon so viele Klausurpläne entworfen hat, dass es unter normalen Umständen bis zu seiner Pension gereicht hätte.

Ähnliches lässt sich auch über die Stundenpläne sagen, die mein Stellvertreter Herr Sieber unermüdlich angefertigt hat. Über allen Organisationsplänen, Verordnungen und Hygieneschutzmaßnahmen haben wir unseren Humor, Optimismus und zupackenden Pragmatismus nicht verloren. Dafür danke ich dir, Matthias, dem Leitungsteam unserer Schule und nicht zuletzt auch unserer Schulsekretärin Frau Nerger-Wirthgen, auf die ich mich stets verlassen konnte.

Dass wir unsere Zuversicht nicht verloren haben, liegt aber auch an euch, liebe Schülerinnen und Schüler. Ihr habt uns zu verstehen gegeben: Ihr braucht uns, ihr braucht die Kurs- und Schulgemeinschaft. Und wir spürten plötzlich zu Hause ganz körperlich: Wir vermissen euch. Wegducken kam für uns nie in Frage. Wir an Schloss Hagerhof haben immer versucht, das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen.

Auch Sie als Eltern haben in den besonders problematischen Phasen der Pandemie zu uns gestanden und damit deutlich gemacht: Diese unsere Schule ist Ihnen wichtig; sie soll hier am Ort erhalten bleiben in ihrer Einzigartigkeit. Dafür möchte ich Ihnen im Namen des gesamten Kollegiums unseren herzlichen Dank aussprechen.

Vor ziemlich genau einem Jahr sagte ich dem vorherigen Abiturjahrgang: „Ihr seid die Generation Corona.“

Eigentlich könnte ich die Rede exakt jetzt noch einmal so halten – und sicherlich mit noch mehr Fug und Recht. Ob das jemand bemerken würde? Abschlussreden sind ja recht standardisiert. 1986 jedenfalls ist es wohl kaum einem aufgefallen, als beim NDR die Bänder vertauscht wurden und versehentlich noch einmal Helmut Kohls Neujahrsansprache von 1985 ausgestrahlt wurde.

Sehr beeindruckt hat mich zuletzt die genauso pragmatische wie ernüchternde Haltung Angela Merkels, als sie am 17. Oktober vorigen Jahres in ihrem Samstags-Podcast an uns appellierte, die Corona-Pandemie sehr ernst zu nehmen, zu Hause zu bleiben und unsere Kontakte zu reduzieren. Eine Woche später am 24. Oktober hatte sie zwar den Blazer von orangefarben zu weinrot gewechselt, sprach aber nur kurz zur Überleitung:

„Ich weiß, eigentlich erwartet man, dass Politiker immer neue Worte finden. Aber für mich gilt das, was ich Ihnen letzte Woche gesagt habe, noch Wort für Wort. Und so folgt jetzt noch einmal der Podcast vom vergangenen Samstag.“

Wie man sieht, bietet die Digitalisierung ungeahnte Möglichkeiten. Wie oft geht auch uns Lehrerinnen und Lehrern im Klassenraum durch den Kopf: „Für mich gilt das, was ich euch letzte Woche gesagt habe, noch Wort für Wort.“ Gewisse Standardlektionen und –Predigten würde man da gerne schon mal als Podcast aufnehmen und dann bei Bedarf einfach abspielen.

Digitalisierung hat viel zu tun mit der Hoffnung auf solche Skaleneffekte. Fleißig werden momentan digitale Arbeitsblätter entworfen, Erklärvideos gedreht, virtuelle Modelle und Schaubilder gestaltet; Schulclouds, Schulverbundclouds und Lernplattformen eingerichtet, auf denen Daten dann beliebig abrufbar und kombinierbar sind. Die Schul-Mathematiker sind besonders eifrig; die euklidische Geometrie ist 2300 Jahre alt und immer noch fein für die Schule. Kann ich meine Erklärung der Hypotenuse nicht ein für allemal in einem Video aufnehmen und „gut ist“? SoWi-Lehrer:innen werden wohl häufiger neue Videos drehen müssen.

Nun ist die beliebige Reproduktion und Verwendung von Daten durch die Digitalisierung nur auf die Spitze getrieben worden. Das grundsätzliche Phänomen gibt es weit länger: Mein Lehrer im LK Deutsch, ein sehr gewitzter langhaariger, bärtiger Alt-68er, der sein großes Potential immer zu schonen wusste, bedachte uns immer mit seinen Matrizen-Kopien. Die waren gehalten in einem verwaschenen lila auf grobporigem Papier; leider waren die darauf gedruckten Texte oft am Rand abgeschnitten. Er diktierte uns das Fehlende dann. Man sagte sich, dass er in den 1980er Jahren einmal sehr viel über die Matrize gezogen habe und eben in den 1990er Jahren das Material weiterhin ausgebe. Einen Matrizendrucker gab es jedenfalls 1996 nicht mehr an unserer Schule.

Einmal kopiert, der Unterricht für die ganze Dienstzeit vorbereitet. Der Ökonom spricht hier von einem klaren Skaleneffekt.

Nun wäre es ein Leichtes, gegen Digitalisierung weiter zu polemisieren. Genauso wäre es ein Leichtes zu loben, was alles bei uns an Schloss Hagerhof nur dank der Digitalisierung gut funktioniert hat.

Die vergangenen 16 Monate der Pandemie haben mir aber nur noch einmal eindrucksvoll vor Augen geführt, dass das Entscheidende an Schule nie die Digitalisierung sein wird. Sie wird zwar in Zukunft darüber mitentscheiden, ob eine Schule erfolgreich ist oder nicht, die Digitalisierung ist aber nicht das Wesentliche von Schule.

Ich weiß, eigentlich erwartet man, dass Schulleiter immer neue Worte finden. Aber für mich gilt das, was ich Ihnen letztes Jahr gesagt habe, noch Wort für Wort. Ich zitiere aus meiner Abiturrede 2020:

„Schule ist wichtig. Als ein Raum des Entdeckens, Forschens, Lernens, Denkens, aber auch und vor allem als ein Raum des sozialen Miteinanders. […] Die zentrale Erkenntnis des Distanzlernens – eures „Zoom-Unterrichts“ – ist gerade nicht die Bedeutung von Digitalisierung, sondern die Bedeutung von Nähe. Nähe zuallererst zu den Freunden, zur Gemeinschaft der Klasse, zu den Lehrerinnen und Lehrern.“

Meine Hinführung war neu, Zoom ist mittlerweile durch Teams ersetzt, der Grundgedanke bleibt aber auch im Juni 2021 derselbe.

Jetzt möchte ich euch aber doch zumindest mit einem neuen Gedanken zum Schluss entlassen.

Neben der Überschätzung der Digitalisierung ist eine weitere Gefahr der Corona-Pandemie, dass sie zu vermehrter Zukunftsangst und Verzagtheit führen könnte. Gerade für die jüngere Generation, für euch, ist diese zunehmende Zukunftsangst empirisch gut erforscht. Sie kann sich produktiv in gesellschaftlichen Bewegungen wie den Fridays for Future kanalisieren, aber auch zu einer Lähmung oder Ignoranz führen.

„Die Welt ist nicht gut. Sie ist aber besser als ihr Ruf.“

Das sagte Hans Rosling in einem Interview. Der Arzt Rosling erforschte über Jahrzehnte vor allem in Afrika seltene Krankheiten; zuletzt kämpfte er 2014 in Liberia gegen Ebolafieber-Epidemie, beriet u. a. die Weltgesundheitsorganisation, hatte eine Professur für internationale Gesundheitsforschung in Stockholm inne und gründete seine eigene Stiftung Gapminder. Diese Stiftung setzte sich für eine faktenbasierte Sicht auf diese unsere Welt ein. In unzähligen Vorträgen in Europa und rund um die Welt stellte Rosling am Anfang seinem Publikum 13 Fragen mit drei Antwortalternativen A, B und C.

Ein paar Beispiele.

  1. Weltweit haben 30-jährige Männer durchschnittlich 10 Jahre lang eine Schule besucht. Wie viele Jahre haben gleichaltrige Frauen die Schule besucht?

A: 9 Jahre

B: 6 Jahre

C: 3 Jahre

  1. Wie viele der einjährigen Kinder auf der Welt sind gegen irgendwelche Krankheiten geimpft?

A: 20 Prozent

B: 50 Prozent

C: 80 Prozent

  1. Wie hoch ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt heute weltweit?

A: 50 Jahre

B: 60 Jahre

C: 70 Jahre

Bei den Antworten auf solche und ähnliche Fragen zeigte sich, dass wir in der westlichen Welt systematisch die Welt negativer sehen als sie ist. Dies übrigens unabhängig vom Bildungsgrad. Mit am schlechtesten schnitt eine Gruppe von Nobelpreisträgern ab, vor der Rosling vortrug.

Den Gründen für diese Verzerrung unserer Weltsicht geht Rosling in seinem Buch „Factfulness“ von 2017 nach. Er beschreibt dort mehrere verschiedene Instinkte, denen wir in unserer Weltsicht folgen, u. a. dem Instinkt der Kluft, der Negativität, der Verallgemeinerung, des Schicksals und der Dringlichkeit.

Für mich handelt es sich bei Roslings Buch um eine der wesentlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre, weil sie eindrucksvoll zeigt, wie sehr sich unsere westlichen Gesellschaften in weniger als 200 Jahren entwickelt, welche großen Fortschritte aber auch die meisten anderen Gesellschaften gemacht haben – die Fortschritte sind so immens, das selbst die Weltsicht eines Menschenlebens nicht mehr Schritt hält, um sie zu begreifen. Ich jedenfalls lag auch bei den meisten Antworten falsch – meine Weltsicht war zu negativ.

Ich empfehle euch, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, den Worldview Upgrader online bei Gapminder zu testen und dann „Factfulness“ von Rosling zu lesen; ein sehr unterhaltsames Buch, das gerade dem deutschen Hang zur Weltuntergangsrhetorik faktengesättigten Optimismus entgegenstellt.

Aber Vorsicht. Rosling sagt nicht, dass die Welt gut ist, nur sei sie besser als ihr Ruf.

 

Nun zur Auflösung:

Frage 1. Weltweit gehen 30-jährige Frauen im Durchschnitt ein Jahr weniger zur Schule als gleichaltrige Männer, also 9 Jahre.

Frage 2. 80 Prozent der einjährigen Kinder weltweit sind gegen irgendwelche Krankheiten geimpft.

Frage 3. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt liegt aktuell global bei 70 Jahren.

Ein Blick auf die historische Entwicklung dieser Werte zeigt einen geradezu atemberaubenden Fortschritt.

Aber, sicher: Es bleibt eine Menge für euch zu tun.

Wir sind überzeugt davon, dass ihr bei uns wichtiges Rüstzeug bekommen habt, den Ruf dieser Welt weiter zu verbessern.

Macht’s gut und vergesst uns nicht an Schloss Hagerhof!“

Jochen Bachmann regte zum Nachdenken an.

Und die vollständige Rede von Tutor Jochen Bachmann                      

„Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sehr geehrte Eltern und Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Dr. Neufert, sehr geehrter Herr Laufer.

Heute ist ein Tag der Freude! Ein Tag, den wir gemeinsam feiern dürfen, auf den wir lange gewartet haben nach entbehrungsreicher Zeit.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten: Ihr habt den höchsten in Deutschland zu vergebenden Schulabschluss erreicht.

Dazu möchten wir euch von Herzen gratulieren.

Es ist beeindruckend, wie ihr euch entwickelt habt zu selbstbewussten, intellektuell gereiften und oft auch verlässlich handelnden jungen Erwachsenen. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit!

Und: Ihr habt in dieser langen, anstrengenden coronalen Zeit tapfer durchgehalten.

Lehrer:innen und Erzieher:innen am Hagerhof haben euch auf eurem Weg begleitet. Dafür möchten wir uns als Tutoren bedanken: Stellvertretend nenne ich die Klassenlehrer:innen der Jg. 5 – 10: Frau Kotte, Frau Joos, Frau Willmeroth, Frau Linning; Herr Ekoemeye, Herr Sanudo, Herr Lehnert, Herr Miron, Herr Wellner.

Für das Erzieherteam danken wir stellvertretend Frau Schmidt und Frau Schneider. 

Eure Eltern haben die größtmögliche Verantwortung auf sich genommen: Ein Menschenkind zu zeugen, zu erziehen und sich entfalten zu lassen. Auch wenn ihr mit dem, was eure Eltern so sagen und tun sicherlich nicht immer einverstanden seid, auch wenn es Konflikte gegeben hat und gibt – ja auch, wenn eine räumliche Trennung für begrenzte Zeit sinnvoll erschien, eure Eltern haben euch unterstützt, begleitet und abgesichert. Auch dies kann heute gefeiert werden.

In dieser coronalen Zeit haben uns viele gemeinsame Erfahrungen verbunden.

Eine erste Gemeinsamkeit: 

Ihr wart der erste Jahrgang in der Oberstufe, der mit der Digitalisierung begonnen hat – noch vor Corona. Und dann kamen die Zoom-Konferenzen. Dort wehte hier und da ein Hauch von Frühstücksfernsehen – in der digitalen Sphäre des Privaten konnte man tolle Schlafanzug- und Pyjama-Motive bewundern, unorthodoxe After-Sleep-Frisuren – und das alles ungeschminkt.

Gelegentlich äugten da schlaftrunkene, leicht verquollene Gesichter aus dem Matratzenlager – zarte Frühstücksflöckchen an der Wange. Kachelmäßig zugeschaltet aus dem Urwald, von der Golden-Gate-Bridge, aus dem Universum – mit oder ohne Marienkäfer. Das alles ohne Bücherwand im Hintergrund – erfrischend aufrichtig also. Bei Brückenmotiven machte ich mir freilich Sorgen. Und hier und da mutierten Breakout-Rooms zu Panic-Rooms.

Eine zweite Gemeinsamkeit:

Unser Lebensrhythmus war in der coronalen Zeit zerfasert. Die Zeit dehnte sich und wurde löchrig. Das zeigt uns, wie wichtig ein Alltagsrhythmus, ein strukturierter Tag ist, wie wichtig auch Rituale sind – gerade in der Krise. Maria Montessori hat in ihren Schriften immer wieder darauf hingewiesen: Rituale schaffen Verbundenheit, Sicherheit und Vertrauen. Aber dies schien sich nun aufzulösen (in der ent-ritualisierten Zeit). Etliche von uns mussten regelrecht ankämpfen gegen das Gefühl innerer Leere und Antriebslosigkeit. … (Unsicherheit kam hinzu: Wann wird ein Impfstoff entwickelt?)

Als Lehrerkollegium haben wir sehr, sehr großen Respekt vor euch, die hier durchgehalten haben. Es wird für euer weiteres Leben hilfreich sein, dass ihr euch an eine solche Bewältigungserfahrung erinnern könnt. Ihr könnt nämlich rückblickend in einer Krise sagen: „Ich habe es damals in der Schulzeit geschafft und ich werde es jetzt auch wieder schaffen! Ja, ich habe die Kraft!“ Aus dieser Bewältigungserfahrung heraus habt ihr Zuversicht im Gepäck. Und das sollte man nicht unterschätzen.

Denn: Unser Leben ist zerbrechlich, fragil. Das ist eine dritte Gemeinsamkeit.

Unser Leben verläuft nicht immer so glatt wie eine Rasur oder das Epilieren. Das Mantra der Selbstoptimierung kann auch ins Stocken geraten, die eigenen psychischen und körperlichen Widerstandskräfte erlahmen. Einige von uns haben das erlebt. Ja, unser Leben ist fragil: Wir können auch scheitern mit unseren Lebensentwürfen, unseren beruflichen Ambitionen: Der falsche Beruf – das hatte man sich dann doch anders vorgestellt. Die eigene Ehe kann scheitern. Natürlich auch die Erziehung. Verletzungen als Leistungssportler können das Aus bedeuten.

Man kann das Abitur nicht erreichen – vielleicht auch, weil man dazu gedrängt wurde. Es war gar nicht das eigene, persönliche Ziel. In der Verwandtschaft/auf Familienfeiern werden ja oft nur die Erfolgsstories tradiert, das Scheitern kaschiert. Und: Man muss auch Glück haben im Leben: Zum Beispiel die richtigen Leute zur richtigen Zeit kennen. Vielleicht auch einen Förderer/eine Förderin haben. Der Zufall wird hier oft unterschätzt. In dieser Hinsicht hat also niemand von uns die Gewähr auf ein gelingendes, gutes Leben. 

Aber: Was ist das eigentlich? Wenn alles „glückt“? So nach dem Motto: „Mein Haus, mein Wagen, mein Pool, meine Yacht, meine Familie.“ Vor kurzem sah ich an der Eingangstür eines Kindergartens in großen blauen Buchstaben geschrieben: „Ich bin ich“ und „Ich bin stark“. Ja, dachte ich: Demnächst auch identitätspolitisch korrekt in Regenbogenfarben… Und: Hoffentlich wird „das kleine Volk“ später auch so stark sein, eigene Schwächen eingestehen zu können, die eigenen Grenzen und Begrenztheiten zu kennen und zu akzeptieren, und in dieser Welt der Selbstoptimierer die Qualifikationen und besseren Leistungen anderer Menschen neidlos anzuerkennen. Auch das ist Ich-Stärke.

Diese Ich-Stärke ist Basis eines guten gelingenden Lebens. Anders formuliert – mit der berühmten Inschrift am Apollontempel von Delphi„Erkenne dich selbst“. (Um dann mit sich im Einklang zu sein.) Wichtige Grundlage eines guten, gelingenden Lebens ist also eine realistische SelbsteinschätzungWir am Hagerhof versuchen deshalb jungen Menschen ein weites Betätigungsfeld zu geben, um sich auszuprobieren: Sport- und Musikangebote, Projektkurse wie das Debattieren, aber auch zahlreiche Arbeitsgemeinschaften wie die Entwicklungshilfe- und Umwelt-AG; Tanzprojekte, Praktika. Auch die Social Services gehören dazu. 

Zu diesem guten, gelingenden Leben, zu dieser Ich-Stärke gehört auch: Mutig-sein. Der Mut, autonom zu sein: nicht nur zu wissen, was recht und unrecht ist, sondern auch gut zu handeln. Es gibt nicht nur ein lebenslanges Lernen, sondern auch ein lebenslanges Arbeiten am moralischen Charakter. In unserem Leben/unserer Gesellschaft/in der Schule läuft das irgendwie mit – so  nach dem Motto: Der Charakter wächst organisch heran und zum Schluss kommt dann heraus: Ich bin ein ganz famoses Haus. Auch bedeutende, moralisch integre Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeffer mussten ihren Charakter gestalten.

Ein gutes, gelingendes Leben ist also auch ein moralisch geführtes Leben – selbst wenn es an anderen Stellen nicht glückt. Und das haben wir bei aller Fragilität/Zerbrechlichkeit des Lebens schon in der Hand: Moralisch integer zu sein.

Ein gutes, gelingendes Leben bedeutet auch, empfänglich zu sein für die Nöte der Anderen.  Social Services: Etliche von euch waren sozial engagiert, haben z.B. die Social Services von Anfang an ernsthaft betrieben. Einer von euch war als Lehrer in Ghana, eine andere hat Flüchtlinge beim Spracherwerb und Computerkenntnissen in Königswinter unterstützt. Andere waren als Helfer auf Kinder- und Jugendfreizeiten. Zu Beginn der Corona-Zeit nähten einige von euch Masken für andere Menschen. Das war eine tolle Idee!

Engagiert wart ihr:

  • im Verein der Tier- und Naturfreunde,
  • als Jugendtrainer,
  • in der Nachhilfe für Schülerinnen (& Flüchtlingskinder),
  • beim DLRG, 
  • im Stadtjugendring.

Einen großen Dank an diejenigen, die sich hier bürgerschaftlich engagiert haben.

Unabhängig von den Social Services gab es unter euch auch die politisch engagierten Bürger:innen, die an den „Fridays for Future“-Demonstrationen teilnahmen.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Gäste:

Der heutige Tag markiert ein ritualisiertes „Loslassen“. Unsere Feier heute ist ein Ritual – ein Abschiedsritual, ein Übergangsritual. Wir – LehrerInnen und AbiturientInnen gehen nun getrennte Wege. Viele von euch werden wir nie mehr wiedersehen. Und: Es ist auch ein langsames Loslösen vom Elternhaus. Ihr zieht mit eurem Gepäck der Zuversicht und des Wissens und der sozialen Erfahrung jetzt ins Offene, ins Weite, ins Ungewisse. Dafür seid ihr gut ausgerüstet. Und wahrlich – diese „Rüstung“ braucht ihr. Denn wir müssen uns nichts vormachen: Für viele von euch wird die Schule der letzte öffentliche Raum gewesen sein, an dem man sich für euch als Person aufrichtig interessiert hat.

Und: Wir alle hier wissen: Das gesamte dystopische Programm ist bereits angelaufen: Eine weitere Gemeinsamkeit: Wir alle hier sitzen im selben Boot. Das von dem Philosophen Vittorio Hösle so apostrophierte goldene Vierteljahrhundert von 1990 bis 2015  ist vorbei (die goldenen 25 Jahre): 

Gerüstet müssen wir sein für

  • den Klimawandel. (Die Zeit läuft uns davon.)
  • die Digitalisierung: Eure ersten Bewerbungsgespräche in fünf Jahren werden vielleicht virtuell mit einer Künstlichen Intelligenz geführt werden. Das ist heute schon bei 700 erstrangigen Unternehmen von den Hilton Hotels bis hin zu Unilever der Fall. Eine KI wird entscheiden, ob ihr in den engsten Bewerberkreis aufgenommen werdet. Zur Digitalisierung gehören auch Automatisierungsprozesse mit drohender Arbeitslosigkeit in sehr vielen Berufsgruppen. 
  • Elend und Verzweiflung werden Menschen auch weiterhin in großer Zahl flüchten lassen. Werden wir als Europäer hier eine moralisch akzeptable Lösung finden? 
  • Wir sind zudem Zeugen einer Entdemokratiesierung auch in einzelnen Staaten der EU. Und ein Blick in die USA zeigt: Auch scheinbar gefestigte Demokratien können unterhöhlt werden. („Steter Tropfen …“) Wer hätte denn vor 5 Jahren vorhergesehen, dass ein Demagoge und Dauerlügner wie Donald Trump Präsident der USA werden könnte? Wiederholung 2024/25 nicht ausgeschlossen.

Es ist evident: Eure Generation wird im Krisenmodus sein. Das ist die Signatur der nun anbrechenden Zeit. Wenn wir sehr viel Glück haben, können wir manches abfedern. Ich bewahre mir trotz dieser Dystopie einen Restfunken an Hoffnung. Und das hängt mit eurer Generation zusammen: Ihr seid weltoffen, nachdenklich und veränderungswillig. Eure Generation wird nicht „noch kurz die Welt retten“ – aber sie wird die Zeichen der Zeit erkannt haben und darauf reagieren.

Wir als Tutoren und LehrerInnen am Hagerhof wünschen euch, dass ihr zuversichtlich seid, voller Selbstvertrauen. Und auch wenn es in eurem weiteren Leben schmerzhafte Brüche, ja partielles Scheitern geben sollte: „Das Leben besteht meist nicht aus Glanz, Erfolg und Nachruhm; aber jedes Leben hat seine Würde, seine Sehnsucht, seine Unberechenbarkeit und seine dramatische Banalität.“ (Zitat: Gabriele von Arnim)

Es gehört mit zu den schönen Erfahrungen am Hagerhof, dass es auch ein ritualisiertes Wiedersehen gibt  – nämlich am Hagerhoffest. Vielleicht begegnen wir der einen oder dem anderen von euch später als Widerstandskämpfer – z.B. als Anwältin für die Armen und Entrechteten. Und wenn der ein oder andere von euch Politiker werden sollte, dann wechselt er vielleicht mal am Karriereende nicht in die Wirtschaft, sondern zu einer NGO. Am Hagerhoffest stehen die Ehemaligen oft stolz vor uns: Als Staatsanwältin, Psychologe, Polizistin, Handwerkerin, als Lehrer, als Ärztin oder Künstler… mit Kleinfamilie (als Mutter, als Vater)

Es wäre schön, euch wiederzusehen! Und es wäre noch schöner, wenn ihr dann  glücklich und zufrieden seid.

Macht es gut!“