Gibt es soziale Gerechtigkeit? Ein Interview mit Schülervertreter Felix Geiser

Felix Geiser ist Gymnasiast der 12. Klasse am Schloss Hagerhof, gewählter Schülervertreter und überhaupt ein sehr engagierter Abiturient in spe. Felix ist vielseitig interessiert. Seine Themen sind Ökologie und hier die Nachhaltigkeit im Speziellen, Partizipation und Mitsprache sowie soziale Gerechtigkeit.

Soziale Gerechtigkeit ist für den 17-Jährigen nicht nur eine Floskel – er möchte etwas bewirken. Sein ehrenamtliches Engagement, die 100 Stunden (der Zwölftklässler kommt mittlerweile auf stolze 400 freiwillige Stunden) Social Services, die fest in den Hagerhof-Statuten verankert sind, verband er mit einem Aufenthalt in Ghana. Dort unterrichtete der Gymnasiast an einer Schule Mathe, Naturwissenschaften, Sport, Geschichte und Englisch – eine zweiwöchige Erfahrung, die ihm Dinge noch mehr ins Bewusstsein rücken ließ und in seiner Überzeugung bestärkt, „unsere unglaublich diverse Welt, gilt es zu schützen, sei es nun durch eine nachhaltige Klima- oder Entwicklungspolitik.“

 

Zum UN-Welttag am vergangenen Samstag hier ein paar Gedanken von unserem Schüler:

Wie würdest du den Begriff der sozialen Gerechtigkeit beschreiben?

„Bei der sozialen Gerechtigkeit geht es um die faire und angemessene Verteilung von Ressourcen in einer bestimmten Gruppe von Menschen. Die betrachtete Gruppe lässt sich je nach Fragestellung variieren, zum Beispiel eine Stadt, ein Land oder die ganze Weltbevölkerung. Soziale Gerechtigkeit ist erreicht, wenn die Menschen, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, ihrer Herkunft oder Ähnlichem die Ressourcen bekommen, die sie ihren Bedürfnissen nach benötigen.“

Findest du, dass es weltweite soziale Gerechtigkeit gibt?

„Nein, weltweite soziale Gerechtigkeit gibt es zurzeit nicht und wird es mit unserem jetzigen System auch leider nie geben. Die Privilegien, welche wir in Deutschland wahrnehmen, gründen auf der Ausbeutung von Staaten des globalen Südens. Damit wir bei Real oder Netto für wenige Cent eine Tafel Schokolade kaufen können, gibt es in anderen Ländern Kakaobauern, die am untersten Ende des Existenzminimums leben und selbst noch nie ihre eigene Ware probieren durften oder konnten. Fast alles, was wir tun, ist weltpolitisch gesehen nicht gerecht. Um diese Gerechtigkeit zu erreichen, müssten wir selbst auf sehr viele Privilegien verzichten, doch dazu sind die wenigsten von uns bereit. Man kann und muss also leider sagen: Wenn wir, die Menschen der westlichen Länder, unseren Lebensstandard aufrechterhalten wollen, wird es nie globale soziale Gerechtigkeit geben. Denn es sollte allen klar sein, dass der ungehemmte Kapitalismus für die Worte „sozial“ und „Gerechtigkeit“ ganz und gar keinen Platz lässt.

Dass nicht alle Menschen auf der Welt so leben können wie wir, zeigt sich unter anderem am durchschnittlichen ökologischen Fußabdruck Deutschlands oder an unserem landeseigenen Country Overshoot Day, der 2020 auf den 3. Mai fiel. Das bedeutet, dass wir in unserem Land bereits am 3. Mai alle Ressourcen verbraucht hatten, die uns unter Nachhaltigkeitsaspekten für das gesamte Jahr zustehen. Die restlichen acht Monate leben wir dann auf Kosten unserer Zukunft, weil wir dann die Ressourcen vom nächsten Jahr verbrauchen. Da wir auch im Jahr 2021 wieder viel zu viel verbrauchen werden, schieben wir unser Problem einfach immer weiter in die Zukunft. Doch damit schaden wir eben nicht nur der ganzen Welt, sondern schränken auch andere Länder in ihrer Entwicklung ein. Denn die Ressourcen, welche wir nutzen, stehen ihnen nicht mehr zur Verfügung.“

Was ist dein Empfinden: Glaubst du, die Menschen in Ghana fühlen sich „ungerecht behandelt?“

„Es ist schwierig zu sagen, da die meisten von diesen Menschen noch nicht einmal wissen, wie genau die Menschen in den westlichen Ländern leben. Eins ist jedoch klar: Sie gehen davon aus, dass es dort unglaublich viel besser ist als bei ihnen selbst. Wenn man durch die Straßen Ghanas geht, bekommt man das durch eine seltsame Stimmung mit, ob man nun will oder nicht. Man wird von allen angeschaut und Straßenhändler sprechen einen andauernd an, um etwas zu verkaufen. Kinder winken einem zu oder wollen „mit dir befreundet sein“, für alle dort bist du der reiche Weiße. Zweimal wurde ich sogar von Vätern angesprochen, die mir anboten, ihre Tochter zur Frau zu nehmen, damit ich sie mit nach Europa nehmen könnte. Trotzdem glaube ich nicht, dass sich die Menschen ungerecht behandelt fühlen, auch wenn das natürlich der Fall ist. Sie wirken oft sogar zufriedener als wir mit dem, was sie haben. Warum aber glauben wir hier in Deutschland ein Recht auf so viele Dinge zu haben, welches diese Menschen nicht haben? Auf diese Frage gibt es keine vernünftige Antwort, wir alle haben einfach nur Glück gehabt, hier geboren worden zu sein.“

Was müssen/was können wir tun, um zumindest einen Anfang im Hinblick auf die faire Weltverteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen zu machen?

Erst einmal können und sollten wir selbst manchmal einfach etwas kürzertreten. Wir sollten dankbar für das sein, was wir hier haben und einsehen, dass unsere Geburt in diesem Land einfach nur ein glücklicher Zufall ist. Durch dieses Privileg tragen wir meines Erachtens auch eine große Verantwortung. Wir müssen uns nicht um unser Essen sorgen, wir müssen nicht darüber nachdenken, wann es das letzte Mal geregnet hat und ob wir am nächsten Tag genug Wasser haben werden. Diese Bevorzugung verpflichtet uns meiner Meinung nach, uns verstärkt für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der weniger Privilegierten einzusetzen. Neben der persönlichen Lebensführung funktioniert das insbesondere über politische Einflussnahme. Jeder von uns ist gehalten, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen, sei es über die Teilnahme an Petitionen oder Kampagnen oder über die Beteiligung an demokratischen Wahlen. Wir können uns passiv und aktiv für mehr Gerechtigkeit in der Welt einsetzen, unseren Konsum beschränken oder nachhaltig und bewusst umstellen. Ganz klar ist natürlich: Je mehr, desto besser.“

Könntest du dir vorstellen, selbst auch ein wenig dazu beizutragen? Und wenn ja, wie?

„Wie schon zuvor genannt ist Konsum hierbei ein sehr großes Thema. Die meisten von uns haben das Privileg z.B. beim Einkaufen auch etwas mehr Geld ausgeben zu können, um dann nachhaltig produzierte Produkte zu kaufen, bei denen auch auf die Produktionsbedingungen und auf faire Löhne geachtet wurde. Um es hier nur einmal kurz anzuschneiden, „Fairtrade“ alleine ist da leider nicht alles. Ein weiterer großer Punkt ist der Klimawandel. Die Länder des globalen Südens werden von diesem früher und deutlich stärker getroffen, obwohl sie selbst eine signifikant geringe Verantwortung durch den Ausstoß von Treibhausgasen haben. Also sollten wir uns alle an die eigene Nase fassen, unser eigenes Handeln reflektieren und uns und allen Menschen auf dieser Welt eine bestmögliche Zukunftsperspektive „erarbeiten“. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst werden und uns dieser stellen. Wir haben die Freiheit und die Möglichkeiten, das Leben von vielen Menschen zum besseren hin zu verändern. Und es ist unsere menschliche Pflicht, diese Möglichkeiten wahrzunehmen.“

Interview: Claudia Hennerkes, Fotos: Felix Geiser